Review
von Ännchen von Tharau
Für mich lässt sich das gesamte Werk Jean Rollins zwischen den beiden Polen Poesie und Trash verorten. In vielen seiner Filme finden sich diese Extreme schon fast brüderlich vereint. Das beste Beispiel hierfür wäre wohl LA MORTE VIVANTE, wo Rollin im Grunde die tieftraurige, melancholische Geschichte einer Freundschaft über den Tod hinaus erzählt, die stillen Momente aber ständig mit völlig übertriebenen, teilweise eher zweitklassigen Splattereffekten kontrastiert. Zuweilen schlägt das Pendel jedoch auch eindeutig in eine Richtung. In Werken wie FASCINATION oder LÈVRES DE SANG überwiegt für mich die Poesie: beide Filme sind lebendige Gemälde, zu Fleisch gewordene Träume, in denen man sich mühelos verlieren kann, ohne nach Logik oder Sinn zu fragen. Noch kompromissloser geht Rollin allerdings in meinem liebsten seiner Filme vor, nämlich LA ROSE DE FER, einem Gedicht in Bildern, das mich berührt wie kaum ein anderes. Als dritte Kategorie hätte man dann die Abteilung, in der Rollin sich bewusst oder unbewusst nahezu vollständig dem Trash verschreibt. Womit wir bei TOUT LE MONDE IL EN A DEUX wären, eine jener Auftragsarbeiten, die Rollin immer mal wieder vornehmlich im Pornobereich annahm, um mit seinen Filmen wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. TOUT LE MONDE IL EN A DEUX bietet zwar keine einzige Hardcore-Sexszene, nichtsdestotrotz folgt seine Struktur sklavisch den Vorgaben des Pornogenres. Wenn Penetrationen in Großaufnahme auch ausgespart werden, Sex ist dennoch omnipräsent, ständig wird die Handlung von schier endlosen Geschlechtsverkehren unterbrochen, jeder schläft mit jedem, auch wenn die Story keine wirklich plausiblen Gründe dafür liefert. Problemlos hätte TOUT LE MONDE IL EN A DEUX mit Hardcore-Sequenzen angereichert auch einen reinrassigen Porno abgeben können, und weist schon auf jene Werke hin, die er einige Jahre später unter witzigen Pseudonymen wie Michel Gentil fabrizierte. Allerdings merkt man dem Film schon früh an, dass sich sein Regisseur scheinbar nicht damit zufriedengibt, einen handelsüblichen Softsexstreifen herunterzukurbeln, sondern die zugegebenermaßen beschränkten Möglichkeiten, die der Film ihm bietet, nutzt, um die Zuschauer immer wieder zu überraschen. TOUT LE MONDE IL EN A DEUX hat eindeutig diesen verrückten Rollin-Touch, der so ziemlich jeden seiner Filme auszeichnet, und der sich in völlig wirren Plots, rätselhaften Szenen, mit denen man nicht im Geringsten rechnet, und seltsamen Dialogen äußert, die man entweder als hanebüchenen Dilettantismus ablehnen oder als surreale Kunststücke verehren kann. Die Story von TOUT LE MONDE IL EN A DEUX als ungewöhnlich zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Alles beginnt damit, dass Valérie von ihrem Cousin, der für sechs Monate verreist ist, die Schlüssel für dessen Wohnung erhält, wo sie ab und zu nach dem Rechten sehen soll. Das junge Mädchen tut das auf seine Weise: zusammen mit ihrer Freundin Sophie nutzt sie die Wohnung als Spielwiese für lesbischen Zärtlichkeitenaustausch. Leider nimmt die erste Nacht, die sie gemeinsam in der Wohnung verbringen, ein unschönes Ende. Sophie erwacht und hat gerade noch Zeit, ihren Freund Fred anzurufen, ihm die Adresse zu nennen, unter der er sie finden kann, und ihm zu erzählen, dass sie glaube, jemand sei in die Wohnung eingebrochen und habe es auf sie abgesehen. Valérie zu wecken, dazu fehlt die Zeit, denn schon erfüllen sich Sophies schlimmste Befürchtungen, als mehrere Personen in Ganzkörperlatexkostümen sie überwältigen und verschleppen. Valérie kommt Sophies plötzliches Verschwinden nicht weiter komisch vor. Auch das Eintreffen Freds irritiert sie nur kurz, denn wichtiger ist es, erst mal mit dem Freund ihrer Freundin im Bett zu verschwinden, und den Rest der Nacht mit Sex zuzubringen. Sophie findet sich inzwischen in einer altmodischen Villa irgendwo außerhalb von Paris wieder, wo ihr allmählich dämmert, weshalb man sie entführte. Malvina, eine lüsterne, lasterhafte Frau, und Anführerin einer obskuren Geheimgesellschaft, deren Hauptziel scheinbar die Befriedigung derFleischeslust darstellt, residiert dort, umgeben von willenlosen Handlangern, die sich allesamt nur in ihren Dienst ergaben, da sie über kompromittierende Photos jedes Einzelnen verfügt, mit denen sie die Leute in ihre Gewalt zwingt. Beziehungsweise zwang, denn die Photos sind spurlos verschwunden. Sie weiß nur, dass Valéries Cousin sie entwendete, um nun seinerseits Malvina zu erpressen. Sophie wurde nur gekidnappt, da Malvinas Untergebene sie für Valérie hielten, die nun von ihr erfahren möchte, wo sich ihr Cousin versteckt hält und was er mit den Photographien vorhat. Sophie kann darüber natürlich wenig Ankunft geben, weshalb man sie erst mal in den Folterkeller bringt, wo ihr eine Auspeitschsession bevorsteht, die ihre Zunge lockern soll. Unterdessen treibt Valérie und Fred die Sorgen schon mehr um als die Nacht zuvor. Nachdem sie die entwendeten Photos beim Liebesspiel zufällig in einer Kommodenschublade entdeckten und sie Besuch von einem angeblichen Zimmermädchen ihres Cousins erhielten, die sich jedoch bald als Lügnerin entpuppt, geschickt von Malvina, um zu überprüfen, ob Sophie am Ende wirklich nicht Valérie ist, dämmert ihnen, dass Sophie tatsächlich in Lebensgefahr schwebt, und rappeln sich auf, um ihre Freundin aus den Fängen Malvinas zu befreien, die gerade in dieser Nacht eine ihrer ausschweifenden Orgien veranstaltet… Ich stimme vollkommen darin überein, dass TOUT MONDE IL EN A DEUX sicherlich nicht zu den Höhepunkten in Rollins Oeuvre zählt. Einerseits fehlt ihm die optische Brillanz von Filmen wie LA VAMPIRE NUE oder LE FRISSONS DES VAMPIRES (deren Filmposter der kundige Betrachter leicht in der Wohnung entdecken kann, in der die Hälfte des Films spielt), was wohl vor allem damit zu tun hat, dass die Handlung im Grunde an nur zwei Orten abgewickelt wird: einer normalen Pariser Wohnung und einer etwas opulenteren Villa, Kulissen, die eben nicht mit den romantischen Burgen und verfallenen Friedhöfen anderer Rollin-Filme mithalten können, worunter dann zwangsläufig auch das Bedürfnis des Betrachters leidet, sich sämtliche Szenen in Form von Gemälden an die Wand hängen zu wollen, das sich in den meisten andern Werke aus Rollins Frühphase zumindest bei mir regelmäßig einstellt. Andererseits leidet der Film, meiner Meinung nach, sehr unter den Softsexeskapaden, die teilweise kein Ende zu nehmen scheinen, und den Storyfluss doch erheblich behindern, keinen Zweifel daran lassen, dass sie es sind, worauf das Hauptaugenmerk des Streifens liegen soll, sein Kernstück, um das die eigentliche Handlung mehr alibihaft herumgewoben wurde, um die einzelnen Sexualakte halbwegs sinnvoll miteinander zu verbinden. Betrachtet man TOUT LE MONDE IL EN A DEUX jedoch als das, was er ist, nämlich ein Sexfilmchen, das nichts weiter tun soll als seine Betrachter zu stimulieren und zu unterhalten, kann ich ihm einige Qualitäten nicht absprechen. Zwar hat er mich mit seinen relativ unspektakulären, zuweilen gar eintönigen Sexszenen, die nie wirklich langweilig und nie wirklich erotisch wirken, nicht sonderlich erregt, alles, was man um diese Sexszenen herum gruppierte, hat mich dann aber nicht unbedingt schlecht unterhalten. Der Film macht Spaß, gerade wegen seiner abstrusen Einfällen, dem theatralischen Schauspiel und den Storyentwicklungen, die nachzuvollziehen mehr als schwerfällt. Als Beispiel soll gleich der Anfang dienen. Valérie betritt die Wohnung ihres Cousins, legt eine Schallplatte auf, sieht sich um, telefoniert mit Sophie. Das alles zeigt der Film in Echtzeit. Eine halbe Ewigkeit dauert es bis Sophie überhaupt in der Wohnung eintrifft. Auch später ergeht sich Rollin gerne in Längen, die mir nicht zwingend notwendig scheinen und mit dazu beitragen, dem Film eine ganz eigentümliche, gelassene Stimmung zu verleihen, in der dann auch die Sexszenen nicht wirklich deplatziert erscheinen, sondern sich in ihrer Monotonie ziemlich nahtlos einfügen (selbst wenn ich weiterhin zugeben muss, dass mein Finger bei einigen der Vorspultaste bedrohlich nahekam). Hinzukommen mehrere Szenen, die einfach nur witzig sind, und es wohl auch sein sollen. Mehr als einmal muss man über das Verhalten der Figuren den Kopf schütteln. Das angebliche Zimmermädchen, das von Malvina geschickt wurde, um die Wohnung auszuspionieren, hat zunächst nichts Besseres zu tun, als mit Valérie in die Badewanne zu steigen und mit ihr zu planschen. Die Art und Weise wie Sophie kurz zuvor entführt wurde und wie sie in ihrer Panik nicht etwa Valérie weckt oder zusieht, schnell aus der Wohnung zu verschwinden, von der sie weiß, dass jemand in sie eindrang, stattdessen erst mal mit Fred telefoniert, ist schlicht erheiternd in ihrer Absurdität. Ganz zu schweigen von dem gesamten Plot um Malvina und ihre unkeuschen Machenschaften, bei denen es überdeutlich wird, dass Rollin die ganze Chose nie und nimmer ernstgemeint haben kann. In dem Kontext wirken nicht mal die wenigen Gewaltszenen wie das Auspeitschen Sophies und ihre spätere zumindest habe Vergewaltigung kaum reißerisch oder schockierend, versprühen eher den Charme von bewusst albernen Mätzchen eines Regisseurs, der den zu verfilmenden Stoff mit einer wohltuenden Ironie inszenierte, die TOUT LE MONDE IL EN A DEUX zu einem reinen Spaßfilm werden lässt (falls man denn den seltsamen Humor eines Rollins teilt). Äußerst amüsant empfand ich auch die mehr als deutlichen Anspielungen auf Louis Feuillades LES VAMPIRES, die dem Ganzen zusätzlich noch eine speziell für Cineasten witzigen Touch geben, wennman sieht, wie Rollin Versatzstücke aus diesem oder ähnlichen Stummfilmserials nahezu 1:1 übernimmt, um sie dann im Kontext eines Softpornos einzusetzen. Auffallend ist hier vor allem, dass Feuillades VAMPIRES mit der Logik genauso wenig zu schaffen hatten wie die Figuren im vorliegenden Film. Rollin führt das Kino demnach einerseits auf seine naiven Ursprünge zurück und lässt gleichzeitig die Gegenwart in Form des aufkommenden Porno-Genres zu Wort kommen. Für eine Auftragsarbeit im horizontalen Bereich ist das doch mehr als man gemeinhin erwarten darf. Meiner Meinung nach steht TOUT LE MONDE IL EN A DEUX weit über dem ähnlich gelagerten JEUNES FILLES IMPUDIQUES (ebenfalls ein Softexstreifen mit einer mehr als grotesken Handlung, die noch tiefer in Albernheit watet) oder über den meisten der von ihm später inszenierten reinen Pornofilmchen, und hat sich seine sechs Pünktchen redlich verdient.
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